Seit Jahresbeginn 2018 verzeichnet die SPD 24.339 neue Mitglieder (Stand April 2018). Grund für den Ansturm: wer bis Dienstag, 6. Februar um 18.00 Uhr SPD-Mitglied wurde, durfte mit darüber abstimmen, ob die Sozialdemokraten nach dem für sie desaströsen Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2017 in eine neue Große Koalition mit der Union gehen. Die Gegner der GroKo um den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert hatten mit dem Slogan »Tritt ein, sag nein« intensiv um Neumitglieder geworben, um ein »Nein« der Parteibasis zu erreichen.
Der Run auf die Parteibücher war derart groß, dass nicht allen Anträgen rechtzeitig zum Stichtag am 6. Februar stattgegeben werden konnte, trotz der extra dafür eingesetzten Mitarbeiter. Kevin Kühnert beansprucht den enormen Mitgliederzuwachs für die Jusos: »In aller Bescheidenheit: Die Jusos nehmen gerne einen SPD-Toaster für besondere Verdienste um die Mitgliederentwicklung unserer Partei entgegen«, twitterte er. (Diesen Toaster hat er übrigens tatsächlich bekommen.)
Ich habe mich mit einigen dieser Neumitglieder getroffen. Den Slogan »Tritt ein, sag nein« empfinden sie durchweg als ärgerlich, ob sie nun für oder gegen die GroKo gestimmt haben – sie halten ihn dem ernsten Thema und den vor der SPD liegenden großen Aufgaben gegenüber für unangemessen. Sie alle – ob pro oder kontra GroKo – wollen Mitglieder der SPD bleiben und sich aktiv beteiligen.
Einer dieser Neumitglieder ist mein Onkel Peter (Bild 9). Er ist mittlerweile 72 Jahre alt und Elektriker im Ruhestand. Da seine Rente nicht zum Leben reicht, arbeitet er weiterhin als freiberuflicher Hausmeister; er ist sehr dankbar dafür, dass er gesundheitlich dazu imstande ist, genügend Kundschaft und zudem Freude an der Arbeit hat. Sein Engagement in der SPD beeindruckt mich zutiefst, vor allem seine Motivation dafür: statt sich in einer Neiddebatte à la »Die Flüchtlinge bekommen alles und meine Rente reicht nicht« zu ergehen, eine Falle, in die viele in seiner Lage sicher tappen würden, ist es ihm wichtig, dem Erstarken der rechten Kräfte etwas solidarisches und demokratisches entgegenzusetzen. Chapeau, Peter, ich bin stolz auf Dich!!
Bild 1:
Britta Merabet,
50, Pädagogin, SPD-Neumitglied seit Januar 2018, hat für die GroKo gestimmt
Bild 2:
Simon Grimm,
27, Pressereferent des Rohwolt-Verlages, SPD-Neumitglied seit Januar 2018, hat gegen die GroKo gestimmt.
Bild 3:
Bert Juhnke,
69, ehemaliger Geschäftsführer im Gesundheitswesen, SPD-Neumitglied seit Januar 2018, hat für die GroKo gestimmt:
»Warum ich eingetreten bin? Weil ich seit vielen Jahren politisch sehr interessiert bin, bis auf wenige Ausnahmen überzeugter SPD-Wähler/Anhänger war, in der heutigen innen- und weltpolitischen Lage aber nicht mehr nur Zaungast und/oder nur alle paar Jahre passiver Wähler sein möchte. Seit kurzer Zeit im Ruhestand, beruflicher Werdegang überwiegend im Gesundheitswesen als Geschäftsführer und Vorstand etc. Meine Erwartung als SPD-Mitglied: nicht zahlende Kartei-Leiche, sondern aktive Mitarbeit und Gestaltung!«
Bild 4:
Bettina Fink,
59, Krankenpflegehelferin, SPD-Neumitglied seit Januar 2018, hat gegen die GroKo gestimmt:
Bettina Fink war verärgert über die Versendung der Abstimmungsunterlagen: diese waren begleitet von einem Werbeschreiben für ein »Ja« zur GroKo, nicht neutral. Eine wirkliche Verbesserung der Situation für Pflegende und für die von ihnen betreuten Menschen ist ihr ein Anliegen.
»Ich habe immer die SPD gewählt, jetzt in den unruhigen Zeiten in der die Rechten/ AFD leider präsent sind, ist es für mich ein Weckruf in die SPD einzutreten.«
Bild 5:
Sima Lutz,
45, Coach / Unternehmerin, SPD-Neumitglied seit November 2017, hat gegen die GroKo gestimmt:
»Ich bin SPD-Tochter, mein Vater hat viele Jahre als stellvertretender SPD-Staatssekretär und Landeswahlleiter gearbeitet. Er war damals schon enttäuscht, ich auch, als Schröder kam und mit ihm Hartz 4.
Ich selbst bin Unternehmerin und alleinerziehende Mutter. In den letzten 2 Jahren war ich hauptberuflich in der Arbeit mit Geflüchteten eingesetzt und habe Ende letzten Jahres einen Bildungsträger für Flüchtlinge gegründet. Während meiner Arbeit mit Flüchtlingen habe ich viele SPD-Mitglieder kennen gelernt, die mich sehr beeindruckt haben. Das ist ein Grund des Eintritts.
Der andere Grund ist, dass ich die linke SPD unterstützen möchte, die Jugend und eine Neustrukturierung der Partei. Als studierte Psychologin und Journalistin bin ich nicht nur wortgewandt, sondern auch sehr sozial. Auch bedingt durch die Werte, die meine Eltern mir vermittelt haben. Als Baby wurde ich von Ihnen adoptiert und habe selbst afghanische Wurzeln, wie viele Geflüchtete.
Der dritte Grund ist, dass ich die politische Situation zur Zeit für katastrophal halte und denke, dass zu viele Menschen im Bundestag sind, die eher die Machtbesessenheit gepackt hat und es innerhalb der SPD zu so massiven Konflikten gekommen ist.
Die Wertevorstelllungen unterscheiden sich: der eine denkt, dass es um Kompromissbereitschaft geht und der andere, dass man sich klarer sozial positionieren sollte, so wie die SPD auch einmal war und sich für die Ärmeren der Gesellschaft stark gemacht hatte. Ich war hoch motiviert, als ich letztes Jahr in die SPD eintrat und mochte auch Martin Schulz und seine Haltung gegen die GroKo. Jetzt bin erschrocken über die inneren großen Konflikte und dass nicht auf Mitglieder eingegangen wird, die die GroKo nach wie vor kritisch sehen, die immerhin ja fast die Hälfte ausmachen.
Wir brauchen neue Gesichter, die sich klar ohne Linksextremismus für die Armen der Gesellschaft einsetzen. Ich hoffe, dass eine Neuformierung der SPD folgen wird und die Partei wieder zusammen wächst, mit den Menschen an der Seite, die ich in der Flüchtlingsarbeit gesehen habe und sehe. Leider haben diese wenig Zeit, noch nebenbei Karriere zu machen, einige davon haben kleine Kinder und da kann man nicht abends auf die Veranstaltungen alle gehen. Zum Glück gibt es jetzt eine digitale SPD und vielleicht kann man hier abends mehr mitwirken.«
Bild 6:
Eric Wielgoß,
26, Chemiestudent, HSV-Fan, SPD-Neumitglied seit Ende 2017, hat gegen die GroKo gestimmt:
»Da ich mich schon immer mit den Sozialdemokraten identifizieren konnte und ich nach der letzten Bundestagswahl das Gefühl hatte, dass die SPD und die Demokratie jeden Unterstützer dringender brauchte denn je, entschloss ich mich einzutreten. Ich möchte beim bevorstehenden Erneuerungsprozess meiner Partei mitwirken und somit auch in Zukunft dafür sorgen, dass das Soziale ein wichtiger Bestandteil deutscher Politik bleibt.«
Bild 7:
Adelheid Götz,
68, Lehrerin im Ruhestand, SPD-Neumitglied seit Januar 2018, hat für die GroKo gestimmt:
»Das Motto „Das musste (jetzt) sein!“ trifft sehr gut meine Motivation: Ein Zeichen setzen, sich gegen den Abwärtstrend stellen, deutlich machen, wie wichtig die Sozialdemokratie für dieses Land war und ist, sich einmischen, nicht nur zuschauen und meckern. Hinzu kommt aber auch ein »Ja, das ist es«, denn seit meiner Pensionierung suche ich eine Aufgabe, die mich fordert, voranbringt, bei der ich vorhandene Kompetenzen einbringen und etwas für die Gemeinschaft tun kann. Ich möchte auch wieder mehr in meinem Stadtteil verwurzelt sein. Die aktuelle politische Situation und meine in den letzten Jahren an der Universität erworbenen Kenntnisse und Einsichten ließen den Eintritt in die SPD als logische Konsequenz erscheinen. In den letzten Wochen habe ich bereits Veranstaltungen besucht, einige Mitglieder kennengelernt und interessante Gespräche geführt. Natürlich habe ich mich auch an der GroKo-Abstimmung beteiligt.«
Bild 8:
Hans-Peter Otto,
69, Elektriker im Ruhestand und aktiver Hausmeister, SPD-Neumitglied seit Januar 2018, hat nach reiflicher Überlegung für die GroKo gestimmt, es ist ihm allerdings nicht leicht gefallen:
»Es ist mir ein Anliegen, mich in Zeiten des Höhenfluges der rechtspopulistischen AfD aktiv am politischen Prozess zu beteiligen. Das Erstarken nationalistischer Denkmuster in Europa bereitet mir Sorge.«